Muss ich nun meine Prozesse wegen der neuen ITIL 4 kübeln?

06.10.2010 12:01:57 | BLOG | Steigele | BLOG | 0 Kommentare


Man muss AXELOS in Sachen Produktvermarktung ein Lob aussprechen. Sie haben es geschafft einen realitätsnahen Ansatz zur Servicegestaltung so verschwurbelt zu vermarkten, dass viele statt dem Zugreifen mit einem "Finger weg" reagieren. Dabei ging es so einfach.

Man hörts ja immer wieder, egal ob auf Erklärungsvideos von Youtube oder auf Erklärblogs: Die bewährten und altgedienten Prozesse aus der ITIL3 weichen nun Practices. Statt des Service Lifecycles als Beschreibungsmetapher setzt man nun auf das Service Value System, die Service Value Chain und die Service Value Streams.

Der Desorientierung zuträglich sind in diesem Zusammenhang auch Erklär-Sites, die in Sachen Unterschied zu ITIL3 schon folgendes zitieren (wissend, dass zweckdienlicher Input durch die Practice Guides von AXELOS noch gar nicht umfänglich publiziert sind):
 
  • ITIL 4 beschreibt anstelle von 26 Prozessen 34 "Practices" (Praktiken) als "zusammengehörige organisatorische Ressourcen, die auf die Erledigung bestimmter Aufgaben oder das Erreichen bestimmter Ziele ausgerichtet sind".
AXELOS selbst wiederum beschreibt das Zusammenspiel von Service Value Chain Aktivitäten (und den unterstützenden Practise mit ihren Prozessen als modulare Bausteine) und Service Value-Streams in einer erhellend und sinnstiftenden Graphik wie folgt:
Nun mag sich jeder Leser seinen Teil denken. Mir gegenüber wurde in wohlwollend wienerischem Ton zu dieser Sache folgendes kundgetan:

"Habt ihr Vollkapazunder eine Überdosis LSD abbekommen oder war nur der Graphiker auf Chrystal Meth unterwegs?"

Den Rest der herzhaft gutmeinenden Äusserung vermag ich in Schriftsprache nicht zu artikulieren, aber es dürfte jeder, der das goldene Wiener Herz kennt, das Barock und die blumige Vielfalt österreichischer Sprechweise erlebt hat, erahnen, was da noch kam.

Aber wir können alle beruhigt sein, im Spiel waren weder gut raffiniertes LSD, noch Metamphetamin zur Skizzierung obiger Erkenntnisse notwendig, sondern nur die von Axelos verfolgte Absicht komplexes einfach darzustellen.
Wenn im Rahmen einer Dienstleistung, ein potentieller Servicekunde ein Bedürfnis äussert (Demand), so wird ein Service Value Stream so ausgeführt, dass unter Berücksichtigung vorhandener Arbeitsmethoden (Practices) und durch Rückgriff auf - im Ergebnis gesicherte, effektiv und effizente - Abläufe (Prozesse) beim Auslöser der Demand letztendlich ein positiv besetztes Wertempfinden (Value) steht.
Das bedeutet, dass man sich zielgerichtet und kundenorientiert aus allen vorhandenen oder noch aufzubauenden Practices und Prozessen seine Wertströme zusammenstellen (bzw. zusammenstöpseln) kann.

Es ist daher nur logisch, dass hier die Vielfalt an Möglichkeiten gross ist und selbiges nur schwer in einer einfachst gehaltenen Graphik dargestellt werden kann.
Genau diese Vielfalt aber verschreckt, nein sie verhindert in bestimmten Kundensegmenten sogar eine nachhaltige Akzeptanz.

Nun hat aber Roman Zhouravlev (einer der Protagonisten der neuen Version) in seinem Blog selbst die Auflösung für dieses Dilemma mitgeliefert. Er gibt offen und ohne Scham zu, dass man sich vom Wertstrom-Modell der Opengroup aus IT4IT inspirieren liess.

Dort aber wird der Zusammenhang zwischen Prozess, Practice (bei der Opengroup nennt man diese "Capability") und Value Stream so aufgezeigt:

 
Nun ist mir das intellektuelle Geschwurbel anderer genauso egal, wie einem gut gelaunten Wiener die politisch korrekte Wortwahl. Das Ergebnis zählt und nicht die Komplexität der Erklärung.
Konklusio:
  • Die Wertströme in ITIL4 laufen auf einer Mikro-Ebene ab; sind auf Nachfrage und wertstiftendes Ergebnis ausgerichtet.
  • Sie bauen bei Ihrer Gestaltung auf die im Unternehmen etablierten Arbeitsmethoden (Practices und Prozesse) auf.
  • Sie werden durch Nachfrage seitens eines Leistungsempfängers aktiviert.
  • Und liefern ein abschliessendes Wertempfinden beim Empfänger.
Im Grunde genommen ist man nur etwas genauer und näher an die Realität in der Servicewelt gerückt, trägt der Vielfalt der Situationen beim Leistungsempfänger Rechnung und erlaubt dem Anwender der neuen ITIL4 mehr Flexibilität und mehr Erfolg als früher. Zudem hat man sichergestellt, dass eine "Aufwärtskompatibilität" zu schon erarbeiteten Methoden, Verfahren und Prozessen gewährleistet ist.
Warum die Marketing-Spezialisten alles derart verkomplizieren ist auch mir ein Rätsel. Vielleicht war dort dann doch Metamphetamin im Spiel.
PS: Wer sich etwas tiefer mit der Gestaltung von Service Value-Streams auseinandersetzen will - kann auch hier nachlesen und viele Ideen finden, auch solche die mit ITIL4 durchaus im Einklang stehen.